Nutzen von Nachhaltigkeit
Kommunizierter und wahrgenommener Nutzen von nachhaltigem Konsumentenverhalten. Die Bedeutung von selbstbezogenem und altruistischem Wohlbefinden.
Fragestellung. Nachhaltige Verhaltensweisen im Allgemeinen und nachhaltiger Konsum im Speziellen haben eine starke gesellschaftliche Bedeutung erlangt (Helmke, Scherberich, & Uebel, 2016). Gleichzeitig sind der Begriff der Nachhaltigkeit sowie das dahinterstehende Geschäftsmodell für viele Kunden weitgehend unverständlich (Crome, 2004). Die Ursache dafür liegt in der Definitionsdiffusion des abstrakten, mehrdimensionalen Begriffs. Der Deutungsrahmen des Begriffes Nachhaltigkeit ist unklar. Simplifiziert wird meist ausschliesslich auf die ökologische Nachhaltigkeit eingegangen (z.B. Cervinka & Schmuck, 2010). Besonders für den Durchschnittskonsumenten ist der Begriff Nachhaltigkeit überkomplex und somit unverständlich (Crome, 2004). Aus diesem Grund ist ein Mehrwert in Form eines persönlichen Nutzens nachhaltiger Produkte oder Dienstleistungen vom Kunden nur schwer identifizierbar.
In einer zweistufigen Studie soll daher zuerst mit einer qualitativen Vorstudie das Verständnis des Konzeptes Nachhaltigkeit und der wahrgenommene Nutzen nachhaltiger Dienstleistungen aus Kundensicht eruieren werden. Anschliessend soll in einer experimentellen Studie die explorativ gefundenen Ergebnisse des wahrgenommenen Nutzens näher bestimmt und quantifiziert werden. Gleichzeitig wird geprüft, ob und für wen dieser Nutzen mit kommunikativen Stilmitteln (hier: Emotionalisierung) gesteigert werden kann.
Qualitative Vorstudie.
Methode. Basierend auf einem Forschungsüberblick sowie Interviews mit neun internationalen Experten der nachhaltigen Tourismusbranche wurde ein Leitfadeninterview erstellt. Befragt wurden 22 Hotelgäste eines nachhaltigen Hotels in Basel. Diese waren zwischen 17 und 67 Jahre alt. Zunächst wurde der Grund des Aufenthaltes in diesem bestimmten Hotel erfragt, bevor die Interviewten den Hinweis erhielten, dass das Hotel in dem sie sich befanden für sein exzellentes Nachhaltigkeitskonzept ausgezeichnet wurde. Anschliessend wurden die Gäste nach dem Zusammenhang zwischen nachhaltigen Produkten und Dienstleistungen des Hotels und den individuell wahrgenommenen Nutzen befragt.
Ergebnisse. Der Mehrheit der Interviewten (82%) war nicht bewusst, dass das Hotel in welchem sie übernachten, für sein Nachhaltigkeitskonzept ausgezeichnet war. Acht der 22 interviewten Gäste (36%) wussten nicht, was der Begriff der Nachhaltigkeit beinhaltet. Bei der Nachfrage bezüglich des individuellen Nutzens betonten alle Befragten, dass Nachhaltigkeit etwas Gutes und Wichtiges sei. Sie erläuterten, dass es ihnen ein gutes Gefühl gäbe, in Form eines guten Gewisses das Richtige für die Umwelt und ihre Mitmenschen getan zu haben, indem sie in einem nachhaltigen Hotel – anstatt eines Standard Hotels – übernachtet haben. Ein nachhaltiges Konsumverhalten führt demnach zu einem gesteigerten positiven Gefühl.
Dieser Befund verweist auf die Konzeption des Feeling-good-Effects von Lichtl (2008). Er zeigte, dass Werbebotschaften mit Bezug zur Nachhaltigkeit bei Rezipienten zu einem höheren subjektiven Wohlbefinden führen, als Werbebotschaften ohne diesen Bezug. Subjektives Wohlbefinden beinhaltet einerseits die selbstbezogene Zufriedenheit und andererseits die Zufriedenheit der Beziehung eines Individuums zu seiner sozialen und ökologischen Umwelt (Keyes, 1998). Unter Einbezug der individuell verschiedenen Werthaltungen der Konsumenten ist anzunehmen, dass sich das subjektive Wohlbefinden zielgruppenspezifisch unterscheidet. Stern et al. (1995) zeigten, dass biosphärisch-altruistische Werthaltungen positiv, egoistische Werthaltungen hingegen negativ mit umweltfreundlichen Einstellungen und Verhalten korrelieren. Zur Vermarktung sollten darum egoistische Werteframes eingesetzt werden (Schultz & Zelezny, 2003) und eine positiv-emotionale Kommunikation verwendet werden, um durch eine Steigerung des subjektiven Wohlbefindens, eine breite Zielgruppe zu erreichen (Schwender, Schulz, & Kreeb, 2008). In der quantitativen Studie wurde deshalb das subjektive Wohlbefinden als individueller Mehrwert von nachhaltigen Angeboten und die Effektivität einer positiv emotionalen Kommunikation untersucht.
Quantitative Studie.
Methode. Es wurde ein 3 (Hotelwerbung: Standard-Hotel; Nachhaltiges-Hotel; emotional-positive Kommunikation Nachhaltiges-Hotel) × 3 (biosphärisch-altruistische Werthaltung: hoch; mittel; tief) Zwischensubjekt-Design konzipiert. An dem Experiment nahmen insgesamt 815 Personen zwischen 18 und 69 Jahren (M = 43.28, SD = 14.06; 53% weiblich und 47% männlich) teil. Als Stimulusmaterial wurde eine digitale Werbebroschüre eines fiktiven Hotels erstellt. Die Probanden wurden gebeten, sich vorzustellen, dass sie auf der Suche nach einem Hotel in entsprechender Preiskategorie seien. Es wurde eine multivariate Varianzanalyse mit den beiden Dimensionen des subjektiven Wohlbefindens als abhängige Variablen gerechnet: 1) emotionales Wohlbefinden (drei Items: α = .92, M = 5.36, SD = 1.37) 2) sozial- ökologisches Wohlbefinden (fünf Items: α = .96, M = 4.34, SD = 1.66). Beide Dimensionen wurden auf einer siebenstufigen Likert-Skala (1 = tiefes Wohlbefinden; 7 = hohes Wohlbefinden) erhoben.
Ergebnisse. Die durchgeführte MANOVA zeigte, dass die Werbung eines nachhaltigen Hotels zu einem höheren sozial-ökologischen Wohlbefinden führt (Mtief = 4.59, SDtief = 1.38; Mmittel = 4.28, SDmittel = 0.76; Mhoch = 4.45, SDhoch = 0.81) im Vergleich zu einer Werbebotschaft eines Standard-Hotels (Mtief = 3.84, SDtief = 1.05; Mmittel = 3.14, SDmittel = 0.73; Mhoch = 2.80, SDhoch = 0.82) (vgl. Abbildung 1–3). Dieses Ergebnis verdeutlicht, dass durch den Konsum nachhaltiger Angebote das individuelle sozial-ökologische Wohlbefinden erhöht wird und somit ein emotionaler Mehrwert auf Seiten des Kunden erfahren werden kann. Bezüglich der Kommunikationsart – ob ein nachhaltiges Angebot stark positiv-emotional vermarktet wird oder nicht – lassen sich individuelle Unterschiede feststellen: Ein positiv-emotionaler Werbestil führt bei Probanden mit mittelhoher biosphärisch-altruistischer Werthaltung zu einem höher empfundenen emotionalen Wohlbefinden (M = 5.51, SD = 0.57) im Vergleich zu einer Botschaft ohne starke emotionale Ausprägung (M = 5.12, SD = 0.54). Jedoch hatte die Emotionalität der Kommunikation keinen bedeutenden Einfluss auf das subjektive Wohlbefinden bei Probanden mit hoher bzw. tiefer biosphärisch-altruistischer Werthaltung (vgl. Abbildung 1–3). Die Ergebnisse zeigen, dass Personen, die eine mittlere Affinität zu Nachhaltigkeitsthemen aufweisen, durch die Emotionalität der Kommunikation beeinflusst werden können und ein selbstbezogenes Wohlbefinden als persönlicher Nutzen vermittelt wird. Hingegen ist die Emotionalität einer Werbebotschaft für Personen mit tiefer bzw. hoher biosphärisch-altruistischen Werthaltung nicht ausschlaggebend für das empfundene emotionale Wohlbefinden. Dies zum einen, weil bereits ein hohes selbstbezogenes Wohlbefinden besteht und zum anderen, weil aufgrund des Aspekts der Nachhaltigkeit das emotionale Wohlbefinden auf ein Maximum gesteigert wird.
Beitrag zur Forschung. Zusammengenommen zeigen die beiden Studien, dass ein individueller Nutzen von nachhaltigen Produkten und Dienstleistungen seitens des Kunden in Form eines gesteigerten subjektiven Wohlbefindens als Mehrwert wahrgenommen werden kann. Erstmals wurde in der Nachhaltigkeitsforschung zwischen verschiedenen Dimensionen des Wohlbefindens unterschieden, welches vom Kunden als Nutzen wahrgenommen werden kann. Ausserdem wurden explizit individuelle Unterschiede in die Untersuchung einbezogen. Durch die Differenzierung des empfundenen emotionalen Nutzens kann die persuasive Kommunikation spezifisch auf Personen ausgerichtet werden, welche eine etwas geringere Affinität zu Nachhaltigkeits-Themen aufweisen.
Institution
Annual Conference of the German Communication Association (DGPuK), Division Marketing and Communication, Conference Topic: «Mediaplanung und Zielgruppenforschung: Ansätze, Modelle, Zukunft»
Drittmittel
Schweizer Nationalfonds (SNF)
Veranstaltungsdatum
16.-18. November 2016
Funktion
Referentin
researcher, sprecker, participant